Mit der ‘Classical Next’ ging am vergangenen Wochenende in der niederländischen Metropole Rotterdam die weltweit größte Klassik-Messe zu Ende. Im Fokus des wichtigsten Branchentreffs der Szene standen zahlreiche prominent besetzte Panels, Konferenzen, Vorträge und Konzerte. Rund 1200 Delegierte und Aussteller aus 45 Ländern präsentierten zudem neue Technologien, Tonträger und Strategien und diskutierten über neue Distributionswege und Präsentationsformen für klassische Musik ebenso wie über die Zukunft physischer Tonträger. Mit über 20 Prozent mehr Besuchern im Vergleich zur Ausgabe 2015 ließ die 5. ‘Classical Next’ zugleich Potential und Nachhaltigkeit der Veranstaltung erkennen. Wir haben ‘Classical-Next’-Teilnehmer und ICMA-Jury-Mitglied Martin Hoffmeister zu diesem Thema ein paar Fragen gestellt.
Herr Hoffmeister, ein Branchentreff wie dieser ist immer auch so etwas wie ein Stimmungs-Barometer. Welche Eindrücke haben Sie in den vier Messetagen gesammelt?
Nachdem die internationale Musikmesse MIDEM im südfranzösischen Cannes sich vor Jahren zunehmend weniger für das Sujet Klassik engagiert hatte, war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, dass ein Veranstalter die Lücke schließen würde. Und so begrüßte man allseits in der Szene, dass ‘Piranha Arts’ vor 5 Jahren diesen neuen Klassik-Treff ins Leben rief. Natürlich gab es Anfangsschwierigkeiten, vor allem was den geeigneten Standort für so eine Veranstaltung angeht, aber nach Stationen in München und Wien, hat man jetzt in Rotterdam mit ‘De Doelen’ offensichtlich den richtigen und angemessenen Partner gefunden und auch ein Ambiente, das Veranstaltungen unterschiedlicher Art ebenso zulässt wie übersichtliche Stände und beruhigte Areale für ungestörte Gespräche. Nicht zuletzt die Besucher-Logistik funktionierte reibungslos.
Offensichtlich gibt es in der Szene ein nachhaltiges Bedürfnis, miteinander zu sprechen und sich zu präsentieren?
Ohne Frage, denn dass sich eine Branche in Zeiten des Umbruchs auf den globalen Musikmärkten und einem sich stetig wandelnden Umgang mit Musik einmal jährlich trifft, erscheint mir mehr als geboten. Noch bis vor kurzem sind ja Viele in der Branche davon ausgegangen, dass es stabil immer weiter geht, dass sich, zumindest eine gewisse Schicht, ganz selbstverständlich für Klassik interessiert, CDs kauft und in Konzerte geht. Das muss man heute wesentlich differenzierter betrachten. Zwar wird klassische Musik, global betrachtet, zunehmend beliebter, das allerdings, Stichwort verändertes Freizeitverhalten, bedeutet nicht auch
automatisch, dass die Leute Tonträger kaufen oder in die Opern- oder Konzerthäuser strömen und Festivals besuchen. Die Beliebtheit von Klassik einerseits und die Gesetze des Klassikmarktes auf der anderen Seite muß man getrennt reflektieren. Eine besondere Herausforderung für die Branche ist dabei die Tatsache, dass sich die Klassik-Affinen in jedem Land, in jeder Stadt, in jeder Region weltweit anders verhalten. Was in München funktioniert, muss noch lange nicht in Dresden oder Berlin funktionieren, was in Tokio erfolgreich ist, muss zwangsläufig nicht auch in Oslo oder Wien reüssieren.
In diesem Zusammenhang müsste man auch über nachwachsende Hörer-und Publikumsschichten sprechen, die Klassik grundlegend anders rezipieren als beispielsweise die Generation der über 60-Jährigen …
…richtig, eine wichtiger Aspekt. Allerdings nimmt sich das alles, zumindest aus der Perspektive derer, die von der Klassik leben müssen, noch wesentlich komplexer aus. Ein paar Beispiele, um das Dilemma zu verdeutlichen. In China sind die Konzertsäle voll von 20 bis 30-Jährigen Besuchern. Die sind im Wortsinne verrückt nach dieser Musik. CDs werden in China vor allem auch im Kontext mit Konzerten verkauft. In Deutschland sehen Sie demgegenüber in manchen Städten mehrheitlich ältere Publikumsgenerationen im Konzert, aber auch das trifft in Berlin oder in München deutlich weniger zu als etwa in Leipzig. Ein anderer Aspekt: In Japan haben Sie flächendeckend noch heute über 200 hochspezialisierte Klassik-CD-Shops, in Deutschland, einem der wichtigsten Klassikmärkte weltweit, finden Sie höchstens 5 gutsortierte Läden. Was Vergleiche im Tonträgermarkt angeht, belegen aktuelle Zahlen, dass in Deutschland der Verkauf von physischen Tonträgern wie CDs, DVDs oder Vinyl noch einen Anteil von 91 Prozent einnimmt, Streaming einen Anteil von 3 Prozent, die Downloads liegen bei 6 Prozent. In Schweden oder England haben wir ein komplett gegensätzliches Bild. Und was Vinyl angeht, das jedes Jahr mehr Käufer findet, da steigt das Interesse auch bei Jugendlichen. Das Problem liegt also auf der Hand, die weltweiten Märkte zeigen sich ungemein heterogen und individualisiert, und es ist für alle Beteiligten, ob Labels oder Veranstalter, kaum möglich, Trends vorauszusagen.
Wie kann so ein Branchentreff wie die ‘Classical Next’ dazu beitragen, solchen Phänomenen näher zu kommen, vielleicht Lösungen zu finden ?
Zunächst einmal muss man hervorheben: Es ist wichtig, alle Klassik-Player auf diesem Wege an einen Tisch zu bringen, Manager, Veranstalter, Labels, Verlage, Sponsoren, Journalisten, Vertriebe, Wissenschaftler etc.. Lange Jahre hat ja jeder Seins gemacht, alle hatten eigene Visionen und Botschaften in der Branche, der Konkurrenzgedanke war dominierend. Heute haben, zumindest die meisten, begriffen, dass man an einem Strang ziehen muss, um den Dampfer Klassik, das Geschäft mit Musik, zukunftssicher zu machen. So eine Messe, die forciert in diesem Sinne den Austausch und das Networking, indem sie zum einen einen geschützten Ort dafür kreiiert, andererseits Panels, Konferenzen, Vorträge und Konzerte auf den Weg bringt, die die wesentlichen Fragen der Szene spiegeln und reflektieren. Um den Status quo der Klassik zu sichern, bedarf es mittlerweile mehr als nur des freundlichen Dialogs. Konkrete Lösungen sind in diesem Zusammenhang ebenso unumgänglich wie die richtigen Fragen.
Worin liegen derzeit die größten Herausforderungen für die weltweiten Klassik-Anbieter ?
Trotz der allgemein hohen Akzeptanz von klassischer Musik sehen sich insbesondere Labels und Veranstalter mit einem ganzen Konglomerat von Problemen konfrontiert. Was auf den ersten Blick paradox klingt, erscheint auf den zweiten allerdings nachvollziehbar. Zu den größten Problemfeldern im Kontext mit Klassik gehören eine massive Desorientierung der Kunden angesichts eines zunehmend unüberschaubar werdenden Angebots-Spektrums, die wachsende Zahl konkurrierender Freizeitoptionen, die fehlende Klassik-Sozialisation von Kindern und Jugendlichen in Familien und Schulen, die Relativierung kanonischer Werte, nivellierendem Zeitgeist geschuldete allgemeine Gruppendynamik und verbreitete Ressentiments gegenüber komplexen Zusammenhängen. Tatsache ist, wer vor diesen Hintergrund versucht, gegenzusteuern, braucht starke Partner und ein ganzes Strategie-Paket.
Bleibt am Ende die Frage nach dem Resümee zu vier Tagen ‘Classical Next’?
Signifikant ist, wie gesagt, die virulente Verunsicherung fast aller Klassik-Anbieter. Darüber hinaus sind zahllose Marktbereinigungen zu konstatieren. Immer mehr Player schließen sich zusammen, andere verschwinden ganz. Neue interessante Projekte kommen aus der digitalen Welt, beispielsweise neue Apps oder erweiterte Streaming-Angebote. Ganz und gar verwundert im Übrigen die Tatsache, dass, bei im Ganzen leicht rückgängigen Umsätzen in der Branche, zunehmend mehr Labels auf den Markt streben. Wertigkeit im Klassikmarkt zeigt sich eben nach wie vor im physischen Produkt. Vor allem auch den hunderttausenden von Künstlern weltweit dient die CD als greifbarer Beleg ihres Schaffens.