Der Multi-Percussionist Christoph Sietzen, ‘Young Artist oft he Year’ der International Classical Music Awards’ (ICMA), gab im Alter von 12 Jahren sein Debüt bei den Salzburger Festspielen und ist u.a. Preisträger des Internationalen Musikwettbewerbs der ARD. Seine erste Solo-CD ‘Attraction’, die den Titel des für ihn von Emmanuel Séjourné komponierten gleichnamigen Werks trägt, wurde mit dem ‘Pizzicato Supersonic Award’ ausgezeichnet. Der in Salzburg geborene Luxemburger wurde seit seinem sechsten Lebensjahr am Schlagwerk unterrichtet und studierte später Marimba bei Bogdan Bacanu, mit dem er das ‘Wave Quartet’ gründete. Seit 2014 unterrichtet Christoph Sietzen an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Remy Franck hat sich mit dem Musiker unterhalten.
Fangen wir vielleicht ganz vorne an. Wie kamen Sie zum Schlagzeug?
Im Kindergarten war ich in einer Xylophon-Gruppe und spielte auf einem kleinen Xylophon des Orff-Schulwerks. Das hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. Und weil meine Großeltern auch beide Musiker sind, genau wie mein Onkel, war da schon eine Verbindung vorhanden. Die haben mich dann auch zu einem Lehrer gebracht, zum Martin Grubinger Senior, dem Vater des jungen, bekannten Martin Grubinger. Und der hat mich dann gleich zu einer großen Marimba hingestellt, mit einem Podest! Beim Schlagwerk gibt es die unterschiedlichsten Herangehensweisen. Viele kommen vom Drum-Set, das im Pop oder im Jazz gespielt wird. Bei mir war es jedoch immer schon so, dass ich sehr angetan war von der Marimba, also vom melodischen, harmonischen Instrument. Und dann habe ich mit acht Jahren noch Kontrabass dazu gemacht, relativ intensiv! Als ich 14 war, musste ich eine Entscheidung treffen, in welche Richtung es gehen sollte, was ich professionell studieren wollte. Der große Reiz am Schlagwerk ist, dass es so viele Instrumente gibt. Und da war es bei mir so, dass ich gesagt habe: Wenn ich Marimbaphon, kleine Trommel, Pauke, Xylophon, Vibraphon und all diese Instrumente habe, dann ist für den Kontrabass kein Platz mehr.
War das dann auch die Entscheidung, Musik zum Beruf zu machen?
Nein, die war eigentlich schon früher gefallen. Ich habe das schon im Kindergarten gewusst. Ob es zu dem Zeitpunkt realistisch war, weiß ich nicht. Aber eigentlich war es für mich immer schon klar.
Haben Sie da Vorbilder gehabt?
Mein Onkel, der Geiger ist, hat mich schon beeinflusst. Und dann war natürlich Martin Grubinger Junior ein Vorbild, der damals noch nicht so bekannt, aber doch auf dem Weg war, und so hat sich einfach alles entwickelt. Und dann natürlich auch mein Marimba-Lehrer, zu dem ich mit 14 Jahren kam, Bogdan Bacanu. Er war auch ein großes Vorbild, genau wie Peter Sadlo, der ein großer Schlagwerker war.
Nun hat ja Salzburgs Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler gesagt, Sie seien der nächste Chick Corea. Das ist natürlich ein ziemliches Programm, das sie Ihnen da vorgegeben hat…
Ja, das stimmt. Ich war zu dem Zeitpunkt 12 oder 13. Den Kontakt zu den Festspielen ermöglichte eine Luxemburgerin, Susanne Harf, die bei den Festspielen arbeitet. Ich habe dann bei den Festspielen für einige Festlichkeiten gespielt, Marimba und auch Kontrabass. Daher ist diese Bezeichnung höchstwahrscheinlich gekommen.
Nun ist ja Schlagzeug für viele Leute mit dem Begriff ‘schlagen’ verbunden. Wenn ich das höre, was Sie an der Marimba machen, dann ist das gar kein simples Schlagen mehr.
Das Schlagwerk oder Schlagzeug hat eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht, und die ist auch noch nicht zu Ende. Vor 50 Jahren waren im Orchester die Aufgaben relativ beschränkt. Und das hat sich danach unglaublich ausgeweitet. Und mein Hauptinstrument war ja lange Zeit eben das Marimbaphon. Und das hat eigentlich mehr, wenn man so will, mit einem Klavier zu tun als mit Trommeln, weil es Harmonie hat und Melodie. Und es ist für uns auch ganz wichtig, zu versuchen, wirklich Musik zu machen, und nicht Schlagzeug zu spielen, um es mal so zu sagen. Und das ist auch ein bisschen die Gefahr bei unseren Instrumenten, dass wir nicht die gleiche Tradition haben, wie das Klavier oder die Streichinstrumente. Also die Entwicklung findet jetzt gerade statt, so wie es beim Klavier oder bei der Violine vielleicht vor 200, 300 Jahren passiert ist.
Evelyn Glennie hat gesagt, Corigliano und Bright Sheng hätten für sie Werke geschrieben, in denen sie ganz spezifisch ‘singen’ sollte auf ihren Instrumenten. Ist ein solches ‘Singen’ auch für Sie wichtig?
Absolut! Ich glaube, dass die Stimme das natürlichste Instrument auf der ganzen Welt ist und, dass jeder Musiker irgendwo versucht, die Stimme nachzuahmen. Wir haben natürlich als Schlagwerker und insbesondere am Marimbaphon das Problem oder die Herausforderung, dass wir keine Töne halten können. Und da müssen wir natürlich sehr stark mit der inneren Klangvorstellung arbeiten, um diesen Effekt zu erzeugen.
Nun ist ja auch, wenn man Sie beim Spielen sieht, auch etwas von Tanz dabei, wenn Sie so zwischen den Instrumenten hin und her tanzen, schweben manchmal auch.
Ja, absolut! Das hat auch ganz praktische Gründe. Aber, um noch mal auf das Schlagen zurück zu kommen, wir schlagen nicht! Also wir schlagen nicht mit Muskelkraft, sondern wir verwenden eigentlich unser Körpergewicht. Das habe ich als erstes gelernt, als Bogdan Bacanu mein Marimba-Lehrer wurde. Er hat in Japan bei Keiko Abe studiert. Sie ist eine kleine und zierliche Frau, sie hat selber sehr wenig Gewicht und fast keine Muskeln. Und deswegen hat sie diese Technik entwickelt. Also man schlägt nicht, sondern man hebt den Arm hoch und lässt ihn dann eigentlich fallen. Und zusammen mit dem Schlägelgewicht ergibt das dann den Klang. Daher kommt es vielleicht, dass es wie Tanzen ausschaut. Und es ist einfach ein gutes Zeichen, wenn es leicht aussieht und nicht ‘anstrengend’. Der Eindruck verstärkt sich beim Ensemble. Wenn vier Marimbaphonspieler nicht zusammen sind, fällt das sehr schnell auf. Und um wirklich zusammen zu sein, hilft es extrem, wenn man die gleiche Bewegung hat. Und das führt dazu, dass die Bewegungen schon fast wie eine Choreographie aussehen.
Irgendwie hat es auch schon fast etwas Schamanenhaftes…
Das Schlagwerk ist fast so alt wie die Menschheit. Und ich glaube, dass das auch einer der großen Reize ist. Rhythmus, Pulsschlag, das verbindet einfach alle Menschen miteinander.
Nun haben Sie vorhin schon mal die Zahl der Schlagwerkinstrumente angesprochen. Wie viele verwenden Sie?
Wissenschaftlich erfasst sind um die 3000. Natürlich wäre es gelogen, zu behaupten, dass ich alle von denen spielen kann. Aber es gibt einige besonders wichtige Instrumentengruppen im klassischen Schlagwerk. Dazu gehören die Stabspielinstrumente, sprich Marimbaphon, wo es die Vierschlägeltechnik gibt, wo man mit vier Schlägeln spielt. Dann Xylophon, Vibraphon, Glockenspiel, die man auch im Orchester findet. Dann gibt es natürlich alle Arten von Trommeln. Im Orchester ist die kleine Trommel ein ganz wichtiges Instrument. Dann kommen die verschiedenen Tomtoms, Bongos, Congas, die man mit Schlägel, aber auch eben mit der Hand spielen kann, was wieder eine eigene Spieltechnik natürlich erfordert. Dann gibt es Tamburin, Triangel, auch aus dem Orchester. Es ist eigentlich unmöglich, jedes Instrument perfekt zu beherrschen. Es gibt nicht umsonst Leute, die eben nur Conga spielen, und die Techniken dann perfekt beherrschen.
Nun benutzen Sie manchmal aber auch Töpfe und Pfannen. Was sind denn so die skurrilsten Instrumente, die Sie benutzt haben?
Da gibt es etliche, eben Kochtöpfe, Pfannen, und vor allem gestimmte Fliesen. Die kommen relativ weit oben, wenn es nach den skurrilsten geht. Die Komponisten haben natürlich immer wieder ausgefallene Ideen, z.B. für eine präzise gestimmte Fliese oder einen gestimmten Kochtopf. Und das ist auch eines der spannenden Dinge beim Schlagwerk, dass man theoretisch auf alles draufhauen kann, sag ich mal. Doch auch wenn der Komponist etwas vorschreibt, soll man nicht irgendwas nehmen, sondern vielmehr seine Klangvorstellungen entwickeln. Man muss überlegen, wie genau muss es jetzt in dem Stück klingen, dass die Ideen des Komponisten wiedergegeben werden. Da stellt sich auch die Frage der Schlägel. Es gibt härtere, weichere, verschiedene Gewichte, verschiedene Materialen, viele, viele Möglichkeiten. Ich habe vor kurzen ein Stück mit gestimmten Fliesen gespielt, ging daher in den Baumarkt und klopfte mich durch die Fliesenabteilung. Es kann schon vorkommen, dass die Leute einen dann ein bisschen komisch anschauen. Das muss man in Kauf nehmen.
Aber die Marimba ist Ihr Lieblingsinstrument?
Lieblingsinstrument würde ich nicht sagen. Ich hab damit angefangen und es ist auf jeden Fall eines meiner Lieblingsinstrumente. Aber ich will kein anderes Instrument ausschließen, denn ich genieße diese Bandbreite. Sie erlaubt es einem, wenn man ein Schlagwerksolokonzert spielt, die verschiedensten Facetten zu zeigen. Und in Konzerten bemerke ich auch immer wieder, dass das mein Publikum wahnsinnig fasziniert. Auf der anderen Seite liegt die große Kunst natürlich auch darin, dass man mit wenig viel macht. Es kommt nicht immer darauf an, jetzt wirklich Hunderte Instrumente auf der Bühne zu haben. Es gibt auch Leute, die mit einem Marimbaphon eineinhalb Stunden auf der Bühne stehen, und das Publikum aufmerksam bleibt. Für mich ist das Höchste, dass der Zuhörer vergisst, auf welchem Instrument ich spiele, und sich voll darauf konzentriert, was gespielt wird.
Und wie sieht es mit dem Logistischen aus? Ein Multipercussionist wie Sie braucht ja einen Lastwagen.
Ja, das stimmt. Wenn ich unterwegs bin, dann meistens wirklich mit einem Lastwagen. Aber es bringt auch mit sich, dass man vor und nach dem Konzert bis zu drei Stunden Arbeit mit dem Auf- und Abbau hat. Manchmal beneide ich schon die Geiger oder die Flötisten.
Nun erzählen Sie uns vielleicht noch etwas über das ‘Wave Quartet’.
Ich bin mit 14 zu meinem Lehrer Bogdan Bacanu gekommen. Und der hatte zu dem Zeitpunkt ein Marimbaduo, das gerade bei einem internationalen Wettbewerb sämtliche Preise abgeräumt hatte. Und ich habe dann auch mit ihm im Duo gespielt. Eines Tages schlug er vor, ein Quartett zu bilden. Die Idee dahinter war, das Repertoire zu erweitern. Für uns ist es ein Nachteil, dass wir kein Repertoire in der Barockmusik, in der Klassik oder der Romantik haben. Und mein Lehrer und ich sind richtige Barock-Fans. Ich hatte mit Bogdan Bacanu auch schon im Duo ein Cembalokonzert gespielt. Und es war wirklich so, dass wir versuchten, nicht Bach für Marimba zu bearbeiten, sondern die Marimba für Bach und uns stark daran orientierten, keine Noten wegzulassen. Zu viert zu spielen, hat uns unglaublich viel Spaß gemacht, und wir haben dann eigentlich relativ bald auch Konzerte gespielt, was am Anfang noch ein Wagnis war, aber beim Publikum kam es sehr gut an. Es sind immer mehr und mehr Konzerte dazugekommen, und mittlerweile spielen wir seit neun Jahren zusammen.
Wie kam der Name zustande?
Wir haben den vom ‘Wave Duo’ übernommen. Ich finde, dass er gut passt, wegen unserer Bewegungen, unserer ‘Choreographie’ mit ihren ‘Wellenbewegungen’.
Wie teilt sich denn Ihre Karriere auf, zwischen Solo, Quartett und Stücken mit Orchester?
Diese Aktivitäten sind gleichmäßig in drei Bereiche geteilt und ich muss sie auch noch in Einklang bringen mit dem Unterrichten, weil ich an der Universität in Wien Stabspielunterricht gebe. Doch obschon ich alle drei Bereiche liebe, liegt mir die Kammermusik besonders am Herzen. Das beginnt mit der Kommunikation beim Spielen, beim Austausch, beim Miteinander- und Voneinanderlernen, und geht weiter bis zu so relativ profanen Sachen, dass man einfach zusammen unterwegs ist, was viel mehr Spaß macht, als wenn man immer alleine in der Weltgeschichte herumreist.
Ist das Repertoire ein großes Problem? Sie haben zwar kein Problem, zu arrangieren, aber ich nehme an, dass Sie auch auf Neues aus sind.
Wir haben das große Glück, dass wir mit einem ganz tollen Barockorchester, dem ‘L’Orfeo Barockorchester’, zusammenarbeiten können. Es ist extrem befruchtend, mit Musikern zusammenzuarbeiten, die aus einer ganz anderen Richtung kommen. Mit diesem Barockorchester zu spielen, funktioniert besser als mit einem normalen Symphonieorchester. Barockmusiker denken ganz anders, wenn es um die Artikulation geht. Und witzigerweise sind sie viel näher am perkussiven Element und arbeiten rhythmisch extrem präzise. Das ist eine sehr schöne Fusion. Auch von den Instrumenten, von der Klangfarbe, passt das Barockorchester besser zu uns als das moderne Symphonieorchester.
Was ist für Sie wichtig, wenn es um neue zeitgenössische Werke geht?
Wenn wir mit einem Komponisten zusammenarbeiten wie Emmanuel Séjourné, der selber Schlagwerker ist, dann funktioniert das sehr gut. Für unser Ensemble ist es so, dass wir sehr gerne Musik haben, die auch melodiös, harmonisch, und nicht zu ‘verrückt’ ist. Also nicht zu atonal oder avantgardistisch, sag ich mal. Das ist einfach unser persönlicher Geschmack, der sich so entwickelt hat. Und das schränkt die Wahl der Komponisten schon erheblich ein. Wenn man von einem Komponisten bereits einige Werke kennt, weiß man ungefähr, worauf man sich einlässt. Und es hängt natürlich stark davon ab, ob ein Komponist weiß, was machbar ist. Mit anderen Komponisten sind wir enger in Kontakt und passen auf, dass die Stücke von uns gut umgesetzt werden können. Aber ich glaube fast, dass das Bearbeiten existierender Musik für uns wichtiger ist als die zeitgenössische Musik. Wesentlich ist uns dabei, egal, was wir arrangieren, ob Bach oder Piazzolla, dass wir die Musik respektieren, dass wir versuchen, die Idee, die dahinter steckt, wieder zu geben. Bei Bach versuchen wir zum Beispiel die ganze Aufführungspraxis wahrzunehmen und auf unser Instrument zu übertragen. Das geht so weit, dass wir alle Cembalo spielen, einfach um die Musik von Bachs Cembalokonzerten besser verstehen zu können.