Nicolas Altstaedt gehört in der Kategorie Kammermusik zu den Gewinnern der ICMA (International Classical Music Awards) 2013. Bei der Preisverleihung in Mailand entstand das folgende Interview der Jurymitglieder Remy Franck und Luis Sunen.
Herr Altstaedt, Sie waren einer der letzten Studenten des bedeutenden Cellisten Boris Pergamenschikow. Wie wichtig war sein Unterricht für Sie?
Pergamenschikows Unterricht ging weit über das rein Instrumentale hinaus. Er war ein universeller Lehrer. Er unterrichtete zuhause, wo er eine riesige Bibliothek hatte. Er selbst spielte am Klavier – er war ein exzellenter Pianist -, und der Unterricht berührte immer alle möglichen Kunstformen. Es lag ihm sehr daran, seine Schüler als Persönlichkeiten auszubilden.
Welche Bedeutung hat denn für Sie die Verbindung zu anderen Kunstformen, so wie Pergamenschikow es Sie lehrte?
Alle Kunstformen beruhen auf der Notwendigkeit des Künstlers, sich auszudrücken. Und daher hängt wirklich alles zusammen. Es macht wenig Sinn, ein Werk zu spielen, ohne zu wissen, in welcher Zeit es entstand, welche Kunstströmungen es damals gab, etc. Wir müssen schon allein deshalb ein Maximum an Informationen, an Background sammeln, weil wir uns ja mit dem Komponisten selber nicht mehr austauschen können.
Sie haben wichtige Preise gewonnen. Für wie wichtig halten Sie Wettbewerbe in der Karriere eines jungen Musikers?
Die Wettbewerbe haben immer weniger Bedeutung, weil es zu viele davon gibt. Ich selber habe nie an den wirklich großen Wettbewerben teilgenommen. Ich bin überzeugt, dass Wettbewerbe zunächst einmal mit Musik nichts zu tun haben. Musik ist etwas, das man nicht beurteilen kann. Und die Kriterien, die in Wettbewerben zählen, haben mit dem Wesen der Musik sehr wenig zu tun. Es geht darum, präzise zu spielen, rhythmisch korrekt, gut intoniert, alles Dinge, die wichtig sind, aber als alleinige Faktoren die Musik abtöten. Ich habe den ‘Crédit Suisse Young Artist Award’ gewonnen, der mir in dem Sinne half, dass ich dadurch ein Konzert mit den Wiener Philharmonikern spielen durfte. Und diese Jury bewertet auch nicht das rein instrumentale Spiel, sondern wählt die Sieger nach langen Gesprächsrunden aus, in denen es um die Persönlichkeit des Musikers geht.
Sie sagen, Musik kann man nicht beurteilen. Sie sprechen hier mit zwei Kritikern… Wir bewerten Musik immer, wenn wir Musik hören.
Ich glaube nicht, dass das, was Sie bewerten, dasselbe ist, was in Wettbewerben bewertet wird. Ihnen geht es ja, nehme ich mal an, um andere Dinge als rhythmische Stabilität und höchste instrumentale Sauberkeit… Oft gewinnen ja in Wettbewerben die langweiligsten Musiker, die, welche sich strikt an die Regeln halten und ohne Fantasie spielen. Wenn Sie aber eine Interpretation hören und schreiben, wie sehr sie sich von einer anderen unterscheidet, wie viele neue Aspekte sie gegebenenfalls zu Tage fördert, immer im respektvollen Umgang mit der Musik und dem Komponisten selbstverständlich, dann ist das ein wichtiger Beitrag. Solche Überlegungen werden natürlich in Wettbewerben nicht geführt.
Wie stellen Sie Ihr Repertoire zusammen?
Das ist recht schwierig. Nehmen wir an, ich bekomme ein Angebot für ein Konzert in zwei Jahren mit einer Komposition, die ich eigentlich erst zu einem viel späteren Zeitpunkt spielen wollte. Die Versuchung, das Angebot dennoch anzunehmen, ist natürlich gross. Und so geht es oft, was das Repertoire anbelangt, nicht nur um eigene Wünsche, sondern um Versuchungen. Man muss dann entscheiden: Was ist gut für Dich, jetzt, und was nicht? Manchmal ist es wirklich sinnvoll, nein zu sagen und manchmal es gut, zuzusagen, weil man dann Dinge, vor denen man ein wenig Angst hatte, angehen muss. Im übrigen bin ich davon überzeugt, dass es viele Werke gibt, die wirklich zu beherrschen man nur durch die Praxis auf der Bühne lernt. Da kann man zuhause noch so viel üben, die wirkliche Erfahrungen, wie ein Stück funktioniert, sammelt man auf der Bühne. Ich bin daher ganz oft den risikovolleren Weg gegangen und Sachen sofort gemacht, die ich für später vorgesehen hatte. Und in den meisten Fällen hat das auch geklappt. Nicht immer! Um die Beethoven-Sonaten z.B. habe ich bislang immer einen Bogen gemacht. Ich freue mich aber, sie jetzt in Echternach zu spielen.
Welche Rolle spielt dabei die Kammermusik?
Kammermusik ist sehr wichtig. Eigentlich ist die Kammermusik das Zentrum aller Musik, ob es nun ein richtiges Kammermusikstück ist, ein Solostück, wo ich ja auch verschiedene Ebenen zusammenbringe, oder ein Konzert mit Orchester, wo wiederum das kammermusikalische Zusammenspiel enorm wichtig ist. Ich liebe es daher auch, Konzerte ohne Dirigent zu spielen, weil ich überzeugt bin, dass es für die Orchestermusiker besser ist, sich nicht auf einen Arm zu konzentrieren, sondern darauf, zu hören, was andere tun, und ich glaube das funktioniert in einem ganz breiten Teil des Repertoires.
Wie gross ist denn bei Ihnen die Versuchung zu dirigieren?
Sagen wir mal so: Ich möchte nicht dirigieren, weil ich überzeugt bin, dass ich ein schlechter Dirigent wäre, aber ein Konzert ohne Dirigent zu spielen und dabei eine Führungsrolle zu übernehmen, das macht mir sehr viel Spaß. Und das funktioniert auch mit größeren Gruppen, ich denke da an das italienische Ensemble ‘Spira Mirabilis’, das auch Symphonien, etwa die Große C-Dur von Schubert oder Schumann-Symphonien, ohne Dirigent spielt, und die ganzen Werke demokratisch in mehrtägigen Proben erarbeitet. Dabei ziehen alle beteiligten Musiker immer an einem Strang, um das bestmögliche Resultat zu erzielen. Ich habe letztes Jahr mit einem Akademieorchester in Melbourne das Honegger-Konzert gespielt. Ich habe wirklich am Anfang nur den Einsatz gegeben, dann lief das Ganze zusammen ab und es war ein großartiges Konzert. Das ist natürlich nicht überall möglich und es gibt ja auch richtig tolle Dirigenten, die wirklich in den Interpretationen viel erreichen.
Sie haben bei den ICMA 2013 für eine Liveeinspielung des ‘Quatuor pour la fin des temps’ von Olivier Messiaen den Preis in der Kategorie Kammermusik gewonnen…
Anfangs war nur von einem Radiomitschnitt die Rede. Bei der Probe am Nachmittag waren die Mikrophone aufgestellt, und wir haben geprobt und sagten dann immer: ‘Ja das war eine gute Passage, wenn im Konzert etwas schief geht, sollten Sie das nehmen’. Oder Ähnliches! Nach der Probe gingen wir in den Kontrollraum, aber da war niemand. Wir wissen bis heute nicht, ob während der Probe etwas mitgeschnitten wurde oder nicht, oder ob es sich ausschließlich um den Mitschnitt des Konzerts handelt. Nach dem Konzert wurden wir gefragt, ob diese Aufnahme denn nicht auf CD erscheinen könnte. Wir hatten anfangs Zweifel. Dann haben wir uns die Aufnahme angehört und waren sehr zufrieden. Daher gaben wir sie zur Veröffentlichung frei. Eine richtige Entscheidung, wie dieser Preis ja ausdrücklich beweist.
Sie sind dafür bekannt, der zeitgenössischen Musik viel Aufmerksamkeit zu widmen. Wie gehen Sie dabei vor? Wie selektionieren Sie die Stücke, die Sie spielen?
Der Cellist des ‘Quatuor Ebène’, Raphaël Merlin, mit dem ich gut befreundet bin und der übrigens auch ein exzellenter Pianist ist, auch ein guter Dirigent, ein hervorragender Arrangeur und Improvisationstalent, ein universeller Musik also, schreibt zurzeit ein Cellokonzert für mich. Wir werden es 2014 in Lockenhaus uraufführen. Wir werden dann mit der ‘Kremerata’ dieses Stück auch mit auf Tournee nehmen. Ich liebe es, sehr gute Freunde zu bitten, Stücke für mich zu schreiben, denn das ergibt immer eine besonders fruchtbare Zusammenarbeit.
Im Jahre 2012 haben Sie von Gidon Kremer die Leitung des Lockenhaus -Festivals übernommen. Was bedeutet das für Sie?
Ich habe die letzten sieben Jahre immer in Lockenhaus gespielt, und es war für mich eine große Ehre, als Gidon Kremer mir anbot, sein Nachfolger als künstlerischer Leiter zu werden. Ein Traum wurde wahr! Ich werde mehr oder weniger die Philosophie Gidon Kremers beibehalten. Lockenhaus ist ein kleines, aber feines Festival, wo eigentlich alles möglich wird, was in den internationalen Konzertsaisons aus allen möglichen Zwängen heraus nicht zustande kommen kann. Selbstverständlich habe ich ein Konzept und überlege, was in einem bestimmten Jahr ein Programmschwerpunkt sein könnte, aber ich bekomme auch viele Vorschläge von befreundeten Kollegen, und aus alldem erwächst dann das Programm, oft in Zusammenstellungen, wie es sie anderswo nicht gegeben hat. Vieles wird aber auch erst vor Ort entschieden, bei den Proben. Wenn wir Zweifel haben bei einer Komposition, tauschen wir sie aus. Lange im voraus angekündigte, feste Programme gibt es auch daher in Lockenhaus kaum. Das Programm wird am Tag vor dem Konzert handschriftlich auf einer Tafel bekannt gemacht und auch das kann noch immer ändern. Daher liebe ich es, in Lockenhaus mit Musikern zusammen zu arbeiten, die flexibel und abenteuerfreudig sind.